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Between the Fronts

          
          die tageszeitung U Dienstag, 1 6. März 1999
          Wr heute iranische
          Regimekritiker 1*
          sucht, bekommt bei
          .: der telefonischen
          : Voranmeldung aus
          dem Auslaid folgende Bitte mit-
          geteilt Briige Tränengas mit, da-
          mit wir unsim Notfall verteidigen
          können. Se der Mordserie an fünf
          prominenten Dissidenten inner-
          halb von nir drei Wochen Ende
          vergangen i Jahres geht unter ira-
          nischen Intellektuellen die An t
          um — oder Jer Sarkasmus. Einige
          wagen sich nur noch vor die Tür,
          wenn es unbedingt nöligist
          Es ist bzarr“, meint die Über-
          setzerin Rcschanak Dariusch. Ei-
          nerseitssei pätesteus seit der Ver-
          haftung voi Mitarbeitern des Ge-
          heimdienstes auch dein letzten
          Zweifler idir, daß hinterden Mor-
          den Mitglicder des Staatsappara-
          tes stecken zugleich seien jedoch
          andere staaliche Stellen um dieSi-
          cherheit de Dissidenten bemüht.
          Das Innenninisterium habe den
          Bedrohten gerateii, nur noch zu
          inehrerennitdemAutozu fahren.
          ‚ Folge ießen sich jetzt viele
          arke Mäiner von ihren schwa-
          chen Frauei durch die Stadt chauf-
          fieren“, und sie trügen halt die
          Sprühdosei mit dem Gas mit sich
          herum. FürDarjuSch eine rein psy-
          chologischc Angelegenheit, denn
          wenn dichjemand entführen oder
          ermorden will, dann läßt er sich
          :c ‘t vän ci? bißchen Gas abhal-
          I,eII“. Die Ubersetzerin verweist
          auf riniitlungsergebnisse, wo-
          nach mehrere Dissidenten durch
          gezielte Stehe ins Herz getötet
          worden seisn Die Leichen hätten
          keinerlei Eampfspuren aufgewie-
          sen. Statt dessen seien sie anschjie-
          ßend versttmmelt worden, um die
          abschreckeade WirkUng zu erhö-
          hen. DieAibeitvon Profis.
          Zwar sini seit Jahresende keine
          weiteren folitischen Morde be-
          kanntgewo*n. aber so richtig
          aufatmen i ag mand. Einige In-
          tellektuellevermuten4aßeine hö-
          tiere Stelleeine Fatwa ausgestellt
          hat, ein isl hes Rechtsguta-
          ten, das ämlich wie Chomeinis
          Mordaufru gegen den Schriftstel-
          1er Salman Rushdie ihren Tod ver-
          langt. Für diese Version spticht
          daß im Lard mehrere Todeslisten
          kursieren. Die längste umfaßt 169
          Namen. Siewurde durch einen mi-
          nischen. Geheimdienstier publik,
          der sich Fnde 1998 damit nach
          Deutschland absetzte. Darauf ver-
          zeichnet sud sowohl im Land le-
          bende Innerlnnen, als auch
          Exilanten. )ie zweite, kürzere Ii-
          wurde Anfang desJahres durch
          m Fenst in die Redaktions-
          räume dc, literatenfreundilchen
          Zeitung Caordad geworfen. We-
          1 mge Minu:en später explodierte
          vordemGcbäudeeine Bombe.
          Man gewöhnt sich an die
          Angst, da ist das Dumme am
          Menschen‘, meint DanUSch, die
          bst auf er langen Liste steht.
          ‚onst flhIcl tet man sich in Zynis-
          mus. hani che Schriftsteller nek-
          ken sich mittlerweile damit, daß
          der eine Kollege ‚jiu?‘ auf einer
          Liste stünde, der andere dagegen
          aufmehreren, folglich „wichtiger“
          sei. Doch nicht immer klappt es mit
          dem Zynismus. Als sie einmal die
          Liste mit ihrem Namen auf dem
          heimischenFaxgerät kopiert habe,
          sejihr zehnjähriger Sohn neugierig
          geworden, berichtet DanUSCh.
          „Mama“, habe er gefragt, „ist das
          die Uste? Wirst dujetzt auch um-
          gebracht?“
          Huschang Golschuii, der derzeit
          bekannteste iranische Schriftstel-
          1er, und seine Frau Farsaneh Ta-
          heri, ebenfalls Schriftstellerin, le-
          ben in einer HOChhaUSSiedIUng im
          Süden Teherans. An derTür steht
          kein Name. „Wir kennen hier mc-
          manden, aber ich bin sicher, alle
          hier kennen uns“, erzählt Farsaneh
          Taheri, deren Name ebenso wie
          derihres Mannes auf einer der To-
          deslisten steht.
          Nach der Ermordung ihrer
          Schriftstellerkollegen Mohammad
          Mohtari und Mohainmad Pujan-
          deh im vergangenen Dezember sei
          die Polizei zu ihnen gekommen,
          berichtet Tahen. „Die haben sich
          aufgeführt wie im Film. Haben al-
          les nach Wanzen abgesucht - je-
          denfallshabensie so getan, alsob-
          und uns Sicherheitstips gegeben.“
          Die bestanden aus dem Rat die
          Tür immer gut zu verschließen,
          nicht allein nach draußen zu gehen
          und nicht in fremde Autos zu stei-
          gen,sowiedem Angebot, fürsie ei-
          nen Leibwächter abzustellen oder
          einer Person ihres Vertrauens ei-
          nen Schnellkurs in Personenschutz
          zu erteilen. „Das haben sie allen
          bedrohten Schriftstellern vorge-
          schlagen“, erzählt Golschiri und
          zündet sich eine Zigarette nach der
          anderen an. „Alle haben abge-
          lehnt.“
          . Das Vertrauen der Literaten in
          die iranische Polizei ist nicht be-
          sonders groß. Stehen die Beamten
          1ochfttr. einen Staatsapparat, der
          ihnen feindlich gesonnen ist Die
          Schriftsteller scbüt en sich lieber
          :selbsL Als Golschisi zum Begräb-
          eis seines Freundes Mohtaii ging,
          umringten ihn junge Schriftsteller
          als menschliche Schutzn auer. An-
          fangs hätte sogar jede Nacht ein
          junger Kollege bei ihnen über-
          nachtet, berichtet er. „Aber“, so
          Golschiri, „aufDauer halte ich das
          nicht aus. Wie soll ich arbeiten,
          wennständigjemandaufmich auf .
          paßt.“ Am meisten bedrückt Go!-
          schiri, daß die Rechnung der Mör-
          der und ihrer Auftraggeber aufzu-
          gehen scheint „Zu unseren Tref-
          fen kommen immer weniger Leu-
          te“, sagt er mit resignativein Un-
          teflon. „Die einen haben Angst,
          die anderen sind ins Ausland ge-
          gangen, und unsere wichtigsten
          Aktivisten sind tot.“
          „Wenn ich Vorträge halte,
          werde ich häufig aus dem Publi-
          kum heraus verbal angegriffen“,
          berichtet die auf Frauenfragen spe-
          zialisierte Anwältin und Journali-
          tin Merengis Kar, deren Name
          Tagesthema 3
          Auch wenn die Mordsene im Iran erst einmal abgerissen ist,leben viele Regimekritiker mit der
          Angst. Zumal im Lande mehrere Todeslisten kursieren. Seit der Verhaftung von Mitarbeitern des
          Geheimdienstes ist klar, daß hinter den Mordanschlägen der Staatsapparatsteckt. Durch den
          Machtkampfzwischen den Reformern um Präsident Chatami und den konservativen Theokraten
          haben die Dissidenten kein Vertrauen in die Polizei. • Aus Teheran Thomas Dreger
          Zwischen den Fronten
          ‚. . .‘
          1 Verwandte undFreundeam (; bdes Opp1hon 1lenD iu &Fouiher,derün vergangenenDezeinberumgebruchtwurd Foto:AP
          • 1. Seit l hamn J (h. :‘ d.iß di vTordsciii. an And .‘rs- sch.‘i: J • • r . ide . : (‘h•
          /t: ! • . •. . . . d.:nker lcn ll1t d % Konto / ‘; 1 .v ;T;..—.,.!- . ) .. - . . . .‚ . ) • . r t
          :. . 1‘! .. ‘ ‘ne. Ji /h J . .
          ‚ kafl fzwischen denReformern WeTcIn. . icht in die Woinung ein und Dolatabadi einen Preis. Bei der
          1 um Chatarni und den konscrvati- Dciinoch wittern viele Dissi- nahmen auch keinen der Teil- Ubergabe erklärte det Minister.
          yen Fhe ‘kraten. Kritische Gei denten derzeit Mor .enIufi So nehmer icst. Der Grund: De die iranische Regierung wolle
          1 • wie S&riftsteller und Jc ‘ur- trafcn sich am 4. Mäxzetwg sicb Schriftsicilerhatten erstinalseine den Schriftstellern kreatives Ar
          ..-. ;:i J eii zs iscl en deii  ig l.it raten in einer Privatwoh- (Ii .‘nchm gung des Ministers für heiLen in einer nihigen Umge.
          ‚ 11. Suatspr:isii nt C‘ha• nang. m der irinischen I-laup - KuI!ur und R hi s Führung. bungerrnöglichen. t. m krcatr i t t
          ‘i:1 dIS /T nn kr ii lkktu stadi .. h ‘i n itt c!ncr kons! !- ..S. ; Iijh /1.;l dschcrani, .tin. müi3t T1 sich S h tft— ‘ !er
          “]C1e . .f)T Ch : t ui :‘I . :‘ .it . .Ir! c!.. ‘ . 1r.: • . .1. i“ ‘‘. .‘ /i rtniu!en . 1t r fühkn.
          ebenfalls äuf einer der Listen steht
          11ff werde dann Häresie vorgewor-
          fen: Abwendung von Gott. Diese
          Anklage und Verurteilung zu-
          gleich“ bedeute für sie „Lebensge-
          fahr“, denn nach strenger islami-
          scherAuslegung ist, wer vom rech-
          ten Glauben abweicht, todeswür-
          ig. Känservativen Kreisen seien
          Menschen, die für die Rechte der
          trauen eintreten, ein Greuel, denn
          diese Leute betrachtenFrauen als
          ein Ding, als Eigentum“. Wenn sie
          *ffentlich fiberFrauenrechte rede,
          klinge das in deren Ohren wie „et-
          vasTeuflisches“.
          Obwohl die Anwältinweiß, daß
          ihr Leben gefährdet ist, hat sie
          keine besonderen Vorsichtsmaß-
          nahmen getroffen. Wie auch?
          Man kann sich nicht schützen“,
          erklärt Merengis Kar vAuch habe
          sie sich schon vor Bekanntwerden
          der Todeslisten bedroht gefühlt.
          Siejedenfallsiebe „genauso weiter
          wie zuvor“. Doch dann räumt sie
          nachdenklich ein Natürlich habe
          es während der Mordwelle Augen-
          blicke gegeben, „da hatte ich ein-
          fach große Angst Dabei ich schon
          zusainmengezuckt, wenn es an der
          Türgeklingelt bat.“
          Staatliche „Betreuing“ fuhrte zum Herzinfarkt
          Die iranischen Behörden schweigen zum Stand der Ermittlungen gegen inhaftierte Mitarbeiter
          des Geheimdienstes. Der soll für über 120 Morde an Dissidenten verantwortlich sein
          Eine dünmere Ausrede hätte
          dem chef des mächtigen irani-
          sehen Wäciterrats kaum einfallen
          können. Nschdem Ende vergange-
          neu Jahres kurz hintereinander
          fünf iranisdie Reginiekritiker um-
          gebrachtuidanschließenein gutes
          ‘)utzend jianische Geheimdienst-
          ‘ als Moidverdäcbtige verhaftet
          worden waren, erklärte Mobsen
          Resai, bei rien Tätern handele es
          sich um „zionistische Agenten“.
          Offiziell hüllen sich die irani-
          schenBeh rdenzumStand derEr-
          mittlungenin Schweigen. Jede Öf-
          fendichkeil würde die Untersu-
          hiingen hrden, erklärt der
          Vorsitzendi der oberstenJustizbe-
          hörde, derzum konservativen La-
          ger zählende Ajatollah Moham-
          mad Jasdi Derzeit sAßen noch
          „siebefl bis acht“ Verdächtige im
          Gefängnis.
          Zugleich dringenjedoch immer
          mehr Informationen und Gerüchte
          aus dem Staatsapparat Einige der
          bedrohten Scluiftstller wurden
          von Mitarbeitern des für ihre Si-
          cherheit zustkdigen Innenmini-
          steriums informiert, andere von
          Journalisten mit gutem Zugang zu
          hohen staatlichen Stellen. Die fol-
          gende Version bildet die Schnitt-
          menge dieser Angaben und des-
          sen. was der Chefredakteur von
          Hamschahri (Mitbürger) der auf-
          lagenstärksten Tageszeitung irans,
          Mdhammad Atrianfar, gegenüber
          der taz bestätigte. Atrianfar gilt als
          enger Vertrauter von Staatspräsi-
          dentMohammad Chatarni.
          Demnach ist unter den Inhaf-
          tierten eine Person. die beim Ge-
          heimdienst für die „Betreuung“
          mißliebigerSchriftstellerzuständig
          war. Gegenüber denLiteraten trat
          der Mann unter dem Decknamen
          „Haschemi“ auf. Unter anderem
          war er verantwortlich für das Ver-
          schwinden des inzwischen in
          Deutschland lebenden Schrifistel-
          lers Faradsch Sarkuhi im Novem-
          her 1996 auf dem Teheraner Flug-
          bafen
          Haschemi soll nach seiner Ver-
          haftung darauf bestanden haben,
          ausschließlich vor Präsident Qia-
          tami auszusagen. Ihm gegenüber
          soll er seine Verwicklungin m md c-
          stens2OMordeiniln- uiidAusbnd
          gestanden haben. Nach Informa-
          tionen der Zeitschrift Fikr No
          (Neue Gedanken)ist der Geheim-
          dienst des Iran insgesamt mehr als
          120 Morde an Dissidenten verant-
          wortlich. Vor hans Präsidenten
          hat Haschemi angeblich einge-
          räumt, bei Regimekritikern durch
          rektale Injektionen Herzinfarkte
          vorgetäuscht zu haben. Rektal,
          weil so bei einer Obduktion kein
          Einstichzu finden sei.
          Tatsächlich gehört Herzinfarkt
          zu den häufigsten Ursachen plötz-
          licher Tode bei iranischen Dissi-
          denten. l994starbdaran angeblich
          der Schriftsteller Saidi Sirdschani
          im Gefängnis in Teheran. 1995
          wurde bei dem in Isfahan tot auf
          der Straße aufgefundenen Uber-
          setzer Ahmad Mir Alaii diese To-
          desursache diagnostiziert Laut
          Atrianfar sollen die Verhafteten
          auch gestanden haben, den Grün-
          der der „Vereinigung für Demo-
          kratic in Iran“, Pirin Davani, um-
          gebracht zu haben. Davani ist seit
          dem 25. August 1998 verschollen.
          Atrianfar spricht im Zusammen-
          hang mit den Morden von „einer
          ArtTerrorismus innerhaibder Re-
          gierung, aber keinem Staatsterro-
          rismus“. Eine Geheimgruppe in-
          nerhaib des Geheimdienstes habe
          durch die Morde versucht, die Re-
          formpolitik der Regierung Cha-
          tami „zuunterminieren“.
          hans Schriftsteller fordern in-
          zwischen in einem Brief an Justiz-
          chef Jasdi eine Aufklärung der
          Morde und öffentliche Prozesse
          gegen die Verdächtigen. Beobach-
          termitguten Kontakten zurRegie-
          mag halten dies jedoch für im-
          wahrscheinlich, denn dafür verfüg-
          ten die Inhaftierten überzu gute
          Kontakte. Für Atrianfar sind sie
          ohnehin „nur Ausführende“, bin-
          1er denen Personen stehen, die
          wohl nie zur Rechenschaft gezo-
          gen würden.
          Unterdessen ventilieren inter-
          essierte Kreise aus dem Staatsap-
          parat ein Szenario, wie die auge-
          klagten Geheimdienstier vor Ge-
          richt ihre Köpfe aus der Schlinge
          ziehen könnten. Da die meisten
          Dissidenten seit Jahren observiert
          werden, verfügten die Angeklag-
          ten überTonbänder, aufdenen die
          Ermordeten dabei zu belauschen
          seien, wie sie den Propheten Mu-
          hanunad schmähen, heißt es. Träfe
          dieszu, wären dieMordopfer nach
          strenger iranischer Auslegung des
          Islam todeswürdig gewesen. Wllr-
          den solche Tonbänder in einem
          Prozeß von der Verteidigung vor,
          gelegt, könnten die Mörderfreige ,.
          sprochen werden.
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