IRAN Satanlscbe Tendenzen e Folterprakt lken In Iranlacheri Ge- gnlesen steilen den Terror der cheh-Diktatur In den Schatten. D er Mann saß den ganzen Tag lang stumm in einer Ecke der Gemein- scbaftszelle. Hin und wieder rammte er die Stirn gegen die Zellenwand. Dann saß er wieder still. Das ging so seit Monaten. Niemand wußte, warum er gefangengehalten wur- de, auch er selbst nicht. Nachdem man ihn über zwei Jahre lang mit einer Au- genbinde künstlich blind gehalten haue. war er dem Wahnsinn nahe. Ein Gefangenenschicksal in Teheran, dokumentiert in einem bewegenden Dossier, das die Gefangenenhilfsorgani- sation „amnesty international“ vergan- • gene Woche vorlegte. Das Papier beleuchtet die diabolische Infrastruktur jener Hölle auf Erden, in der (mmmc Männer und ihre sadisti- schen Helfer islamische Rechtspflege ei- gener Auslegung exerzieren. Nach groben Schätzungen sind in iranischen Haftanstalten derzeit 120 000 Menschen inhaftiert, etwa ein Drittel davon aus politischen Giünden. Die aus- geklügelten Grausamkeiten der Revolu- tionsgardisten des Chef-Schiiten Cho- cmi stellen die Folterpraktiken der iserlichen Geheimpolizei Savak noch den Schatten. Männern werden mit Bügeleisen Ge- säß und Fußsohlen verbrannt. Kinder müssen zusehen, wie ihre Mütter ausge- peitscht werden. Fürsprache für Todes- kandidaten wird als aktive Kollabora- tion, mithin als todeswürdiges Delikt bestraft. Eine Grupee von Jugendlichen wurde von Revolutsonsgardisten leben- dig verbrannt, weil sie Sympathien für die Opposition geäußert hatten. Um das flair der Gottgefälligkeit nicht zu gefährden, achtet die Exekutive auf korankonforme Vollzugsmodalitäten: Die „amnesty“-Chronisten wissen von jungen Mädchen, die vor der Hinrich- tung vergewaltigt wurden, weil das isla- mische Gesetz die Tötung von Jungfrau- en verbietet. Die meisten politischen Gefangenen werden — soweit möglich, nach Delikt- gruppen und gesellschaftlicher Herkunft getrennt — in den fünf Zentralgefäagnis- sen des Regimes festgehalten: 1> im Evin-Gefängnis im Norden von Teheran, dem auch das Hauptquar- tier des „Revolutionären Gerichtsho- fes“ angegliedert ist und wo derzeit rund 15 000 Häftlinge einsitzen; Ö im Komiteh-Gefängnis, einer finste- ren Festung gleich neben dem Tehe- Polizeipräsidium, das dem Chomeini-Regrme in den ersten Wochen nach der Machtübernahme als Paradeobjekt für „die inhuma- DER SPIEGEL Nr. 21983 nen Praktiken des Schah-Regimes“ diente; 1> im Salehabad-Gefängnis, einer um- funktionierten Rinderfarm auf hal- bem Wege zwischen Teheran und Ghom, die insbesondere zur Unter- bringung von Mitgliedern der linken Volksmudschabidin dient; > im Wakilabad-Gefängnis bei Masch- had, das sich einen Namen als Schweigelager gemacht hat, weil die dort Einsitzenden total von der Au- ßenwelt abgeschnitten sind; HInrichtung von OpposItIonellen In Kerman •‚Verbrecher ohne Umweg zur Hölle schicken‘ Kaiserzeit, in dem statt der 1500, für die es einst gebaut wurde, heute 6000 Internierte wie Vieh gehalten wer- den. Die teils groteske Überbelegung ist eine der Hauptursachen für die un- menschlichen Lebensbedingungen in den Haftansta1ten Auf der Salehabad-Farm müssen sich fünf Sträflinge eine Box ohne Toilette teilen, in der früher eben eine Kuh stehend Platz hatte. Im Komi- teb-Oefängnis sind Hunderte im „Hüh- nerhaus“ untergebracht , in vier Ba lko- nen, die rings um das Gebäude laufen. Der Intellektuelle Bahram Al l Attai, der 82 Tage festgehalten wurde, weil AA000252 man verdächtige flugblätter bei ihm ge- funden hatte, hat der Londoner „Times“ eine Beschreibung der Zustände im Evin-Gefänguis gegeben. In seiner sechs mal sechs Meter großen Zelle waren ständig 60 bis 80 Menschen eingepfercht — gut zwei auf einem Quadratmeter. In den isolierzellen ist die Enge noch mörderischer. Auf wenigen Quadratme- tern mußten bis zu 20 M lann oft wochen- lang vegetieren — ohne Fenster, ohne Toilette. Das Essen wurde einrqal täglich durch die Sichtklappe in derTür gewor- fen. Aus disziplinarischen Gründen wur- de die Tür oft tagelang nicht geöffnet — auch nicht zum Toilet- tengang. Auf dem Korridor vor den Zellen standen immer rund hundert Häftlinge mit verbun- denen Augen aufge- reiht — bis zu zehn Ta- gen — ‚ die auf ihre Ver- nehmung warteten. In den Zellen konn- te man das Gebrüll der Gequälten hören, die mit Peitschen, Elek- trokabeln und Wasser- rohren geschlagen wurden, während sie an Handschellen von der Decke baumelten. Attai wurde selbst aus- gepeitscht, weil er angeblich seine Aq- genbinde gelockert hatte. Der erste Schlag — so die „Times“ — „war verheerend“, der zweite „riß seinen Verstand auseinan- der“, der dritte „schickte Wellen von Schmerz durch seinen Körper“. Und manche Häftlinge müssen — in sieben Etappen — 700 Peitschenhiebe erdul- Attais Bericht deckt sich im wesentlichen mit der Tendenz des „amnesty“-Reports. Die schlimmste Abtei- lung in Evin ist „Band-i-tschahar“ (Block vier), der speziell für „schwierige Fälle“ eingerichtet wurde. Don ist die t)berlebensrate am geringsten. Drei von zehn Gefangenen werden nach Schät- zungen von Zeugen, die lebend wieder herauskamen, beim Verhör totgeschla- gen. Draußen im Hof finden Exekutionen und Scheinexekutionen statt. Zur simu- lierten Hinrichtung wird der Gefangene zunächst an ein Waschbecken geführt, um die rituelle letzte Waschung zu ver- richten. Draußen wird er dann an einen Pfahl gebunden und muß oft minuten- lang Salve um Salve über sich ergehen lassen, wobei die Mitglieder des Pelotons 93 im Kasr-Gefängnis, einem vormali- gen Klein-Ganoven-Knast aus der „4. den.
oft darin wetteifern, ihre Schüsse mög- lichst dicht am Körper des Opfers zu placieren. Aber es wird auch ganz gezielt ge- schossen. Im Evin-Hof sind in den ver- gangenen vier Jahren Tausende von Menschen umgebracht worden, darunter auch schwangere Frauen und zwölfjähri- ge Kinder. Ajatollah Chalchali, der ehe- malige Chefjakobiner des Regimes, so wird überliefert, ließ einmal einen wahl- los herausgegiiffenen Häftling zu elf an- deren an die Wand stellen, nur um das Dutzend Namen vollzumachen, das er auf seiner Exekutionsliste stehen hatte. Alteingesessene entwickeln ein feines Gespür für echte und simulierte Exeku- tionen: Länger anhaltendes Dauerfeuer bezeichnet in der Regel eine Scheinhin- richtung. Nur wenn am Schluß ein ein- zelner Schuß — der Fangschuß — zu hören ist, war‘s auf jeden Fall ernst. Ein Trakt im Evin-Gefängnis ist weib- lichen Häftlingen vorbehalten. Dort le- ben vorwiegend junge Frauen mit ihren Kindern im Alter zwischen einem Jahr und zwölf Jahren. Ehemalige Insassen berichteten, daß die Folterer bei Verhö- ren zuweilen auch Säuglinge mißhandel- ten, um die Mütter gefügig zu machen. Positives vermochte bislang nur die stets um progressives Außenseitertum bemühte Hamburger Linkspostille „Konkret“ im iranischen Straf iollzug entdecken. In einer Gegendarstellung zur deutschen „Pressekampagne gegen den Iran“ berichtet „Konkret“-Reporter Kai Hermann über einen Besuch im Evin-Gefängnis: „Überall wird etwas verschönert. Die Wächter sind von den Gefangenen nicht zu unterscheiden.. Zellen können wir nicht sehen. In jedem der großen Schlafräume steht ein Fern- sehgerät.“ Fazit: „Ich habe in der Bundesrepu- blik noch kein so freundlich erscheinen- des Jugendgefängnis gesehen.“ Dazu hatte die Redaktion ein Photo von Ge- fängnisdirektor Ladschawardi gestellt, wie r Kekse an eine Gruppe adrett gekleideter Häftlinge verteilt. Tatsächlich hat sich die Folter- und Tötungsmaschinerie inzwischen derma- ßen verselbständigt, daß sogar die Cho- meini-Administration den Überblick über deren schauriges Wirken verloren hat. Das negative Echo auf die Säube- rungen von Revolutions-Scharfrichter Chalchali in der Frühpbase der Revolu- tion hat die Publizitätsbereitschaft der Gerichtsherren gedämpft. Hinrichtun- gen werden nicht mehr live im Fernsehen übertragen, Exekutionsziffern nur noch lückenhaft veröffentlicht. Der amtlich verbürgte Tenor ist be- klemmend genug. „Amnesty“ registrier- te allein in der zweiten Jahreshälfte 1981 (gerechnet vom 20. Juni) 2444 von iranischen Behörden bekanntgegebene Hinrichtungen. Die Dunkelziffer liegt nach Schätzungen von Iran-Kennern bis zu zehnmal so hoch. Die absolute Zahl der Opfer ist auch deshalb gestiegen, weil die Mullah- Legislative die Schwelle zur Schwer- kriminalität deutlich herabgesetzt hat. C> Der Akademiker Omid Gharib wur- de erschossen, nachdem er sich unter anderem durch „Verwestlichung. und das Rauchen von Winston-Ziga- retten“ schuldig gemacht hatte. 1> Der Teheraner Bürger Gasem Gol- scham kam vors Peloton, weil er „Unruhe in den Straßen gestiftet hat- te“ — obwohl er zum Zeitpunkt der Tat im Gefängnis gewesen war. ‘ Ein elfjähriger Junge, der als Geisel für seinen Vater in Haft genommen worden war, starb im Feuer eines Erschießungskommandos, weil er, wie es hieß, dem Oberrichter Ajatol- lah Gilani im Evin-Gefängnis freche Antworten gegeben hatte. Solche Terrorurteile entspringen nicht nur der entmenschten Ethik sadistischer Blutrichter. Sie sind auch wegweisend für die künftige Rechtspflege im th kratischen Iran: Der Strafkatalog ist d „Kisas“ entlehnt, einem Stammeskod aus präislamischer Zeit, der die Härte koranischer Zuchtprinzipien weit über- trifft. Er sieht für nicht weniger als 109 Delikte die Hinrichtung als Regelstrafe vor: für „Anzeichen von satanischen Tendenzen“ oder für die Verbreitung „unwahrer Behauptungen“ über die Re- gierung, für Glücksspiel sowie — im Wie- derholungsfall — für Homosexualität und, freilich nur für Frauen, Ehebruch. „Wir wollen eine Gesellschaft ohne Gefängnisse schaffen“, sagt Chomeinis Chefrichter, Ajatollah Abd el-Karim Mussawi Ardabili, „warum sollten auch gottesfürchtige Mos lems jene Verbre- cher durchfünern, die es verdient haben, ohne Umwege zur Hölle geschickt zu werden.“ Der Apparat für •die moslemiscbe Spontanjustiz ist nahezu einsatzbereit. In Crash-Kursen hat der Schiiten-Klerus 1200 Schnellrichter ausbilden lassen, die allein auf sich gestellt und ohne Rück- sicht auf Appellationsmöglichkeiten Ge- rechtigkeit im Sinne von Schiitenpapst Chomeini üben sollen. Wenn die ambulanten Ein-Mann-Tri- bunale erst mal richtig in Fahrt komme wird sich auch das Gefängnisprobl schnell lösen. Ajatollah Gilani: werden in sieben Tagen erledigen, was die Gerichte des Schah nicht in sieben Jahren geschafft haben.“ Sehlitenführer Chomelnl Den Überblick verloren Auspeltachung einer Ehebrecherin In Teheran: Amtlich verbürgter Terror 94