Seite 46 1 Beilage der Süddeutschen Zeitung Nr. 34 F
IRAN
Donnerstag, 1 1 . Februar 1993
Visiön. Doch das dahinterstehende gene-
rehe Ziel macht Sinn. Im letzten Novem-
beirn wurden auch die neuen Republiken
und Afghanistan in die Economic Coope-
ration Organization ‘ (ECO) aufgenom-
men, die 1985 vom Iran, der Türkei und
Pakistan gegründet worden war. Das
kann ein Impuls sein, doch eine islami-
sehe Wirtschaftsgemeinschaft nach dem
Vorbild der EWG ist nicht in Sicht. Dem
stehen die Wirtschaftsstrukturen der
Länder, ihre Abhängigkeit von den Indu-
strienationen und die Ausrichtung der
ehemaligen Sowjetrepubliken auf Ruß-
land entgegen.
Die Konkurrenz zur Türkei wird häufig
überbewertet. . Die Abkommen zu Grenz-
sicherheit und Verkehrsfragen, die im
letzten Halbjahr zwischen ihr und dem
Iran geschlossen wurden, beweisen nur
einmal mehr, daß sich bei wohiverstande-
nen Eigeninteressen über ideologische
und politische Differenzen hinweg beide
zu verständigen wissen.
Seit der Beendigung des Kriegs mit
dem Irak im August 1988 sind Stabilität
und Kooperation das erklärte und auch
praktizierte ZieJ iranischer Außenpolitik
gegenüber den arabischen Anrainern des
Persischen Golfs. Dem scheint die Affäre
um die Insel Abu Musa im letzten Som-
mer zu widersprechen. Die Souveränität
über die Insel ist seit 1971 zwischen dem
Iran und Scharja ungeklärt; die einen
stellen Polizei, die anderen das Militär. So
manches spricht dafür, daß im letzten
Sommer ein lokaler Streit auf der Insel
hochgeschaukelt und dann zum Gegen-
stand heftiger iranisch-arabischer Pole-
mik wurde. Vor allem Ägypten, das sich
gern als Schutzmacht im Golf profilieren
möchte, goß Öl in die Flammen. Die seit
der zeit des Schah gehegte Vorstellung
vom grundsätzlichen Hegemoniestreben
des Iran, das durch den „Revolutions-
export“ nur bestätigt zu sein schien, er-
hielt neue Nahrung.
Gerüchte und Berichte über islam !-
stisch-revolutionäre Umtriebe des Iran in
Nordafrika und besonders im Sudan
scheinen der Tatsache zu widersprechen,
daß „Revolutionsexport‘ schon seit 1985
nicht mehr Bestandteil offizieller iran !-
scher Außenpolitik ist. Ober Irans Rolle
im Sudan, der von einigen Terrorismus-
experten als Basis- und Rückzugsland
bezeichnet wird, ist schwerlich K‘arheit
zu gewinnen. Doch Widersprilchlichkeit
und Zweigleisigkeit iranischer Außen-
politik in Wort und Tat läßt sich nicht
übersehen: In direkter Nachbarschaft
zählen Stabilitätund Kooperation, weiter
weg darf die Verpflichtung zur Islami-
schen Revolution zum Tragen kommen.
. Zweigleisig iat auch Irans Rüstung.
Angesichts des Krisenk ,eises, in dem sich
der Iran befindet, ist das Interesse plausi-
bel, innerhalb einer überrüsteten Umge-
bung nicht nur eine „Fußgängerarmee zu
unterhalten. Doch Teile des Rüstungspro-
gramms — nicht nur die ungeklärte Frage
möglicher nuklearer Rüstung — werfen
die Frage auf: Wohin zielt das?
Der Iran fordert, daß die Sicherheit des
Persischen Golfs von den Anrainern ge-
währleistet wird, fordert den Abzug vor
allem der USA. Mit U-Booten z. B. kann
der Preis für amerikanische Präsenz
hochgeschraubt werden. Aber der Iran
weiß auch, 4aß sich an dieser Präsenz
vorläufig nichts ändern wird. Denn eben-
so wie die arabischen Golfstaaten gelernt
haben, daß sie zur Wahrung ihrer Interes-
sen nicht am größten Anrainer des Persi-
schen Golfs vorbeikönnen, weiß auch der
Iran, daß ohne Zusammenarbeit nichts
geht. Feindbildpropaganda, die mittels
unüberprüfbarer Geheimdienstmeldun-
gen suggeriert, Teheran habe nichts ande-
res im, Sinn, als nach der Bombe zu
streben, um Israel und di e arabischep
GolfstaaWn anzu eifen (was Selbstmord
gleichkäme), verleugnet die interne Situa
tion des Landes.
Zu ihr gehört das Erbe der Revolution,
in dem der Grund für Zweigleisigkeit und
Widersprüche in Außenpolitik und
Selbstdarstellung liegt. Die Revolution
mit ihrem islamischen Anspruch ist nicht
nur abstrakter Legitimitätskern des Re-
gimes, sondern in gewachsenen wirt-
schaftlichen, politischen und sozialen
Strukturen und Institutionen manifest.
Das heißt nicht, daß die Inhalte der Revo-
lution nicht der Interpretation unter-
lägen,nurabschaffen kann man sie nicht,
— schon gar nicht von außen. Sie gehört
zum Iran ebenso wie die Notwendigkeit
ron Stabilität und Wiederaufbau. Eines
ist ohne das andere nicht möglich, und im
Interesse eines sinnvollen politischen
Umgangs wird man sich darauf auch
weiterhin einrichten müssen.
Johannes Reissner ist wissen8chaftli-
cher Referent der Stiftung Wissenschaft
und Politik in Ebenhausen
DER TEHERANER ARZT ALl AKBAR VELAYATI ist mit über elfjähnger
Amtsdauer einer der dienstältesten AuJienministe .r der Welt. Er verkörpert die
neue iranische Außenpolitik. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und
durch die weitgehende Isolierung des ehemaligen Kriegsgegrters Irak erkennt die
we8tliche Welt dis.gestiegerte regionale Bedeutung sowie das gestiegene außen-
. politische Gewicht Irans an. Umgekehrt verfolgt die Regierung in Teheran eine
Politik der Öffnung. Die Islamische Republik will heute ein geachtetes Mitglied
der internationalen Völkergemeinschaft sein. „Wir glauben, daß die Beachtung
der Bestimmungen des Völkerrechts, die Nichteinmischung in die inneren
Angelegenheiten anderer Länder, • Respektierung der Wertvorstellungen und
Überzeugungen der Vö iker und die Respektierung der Gesetze anderer Länder
feste Grundlage7L für Frieden und Sicherheit Sind“, lautet das Credo des
iranischenAufienministers. Besonderen Akzentlegt Velayati aufdie Entwicklung
bzw. Verbessen ng regionaler Kooperationen. Im Spannungsfeld zwischen dem
Mittleren Osten und Zentralasien plädiert Iranfür wirtschaftliche und politische
Zusammenarbeit. Es hatte an der Wiederbelebung und Erweitening regwizater
Organisationen für wirtschaftliche Zusammenarbeit, ECO, entscheidenden An-
teil. Ihr gehören heute neben den Gnindungsmitgliedern Türkei, Pakistan und
Iran sechs ehemalige Republiken der UdSSR sowie Afghanistan an. Velayatis
Zielvorstellung ist eine „Islamische EG“, die den 300 Millionen Menschen des
etwa vier Millionen Quadratmeter großen Wirtschaftsraumes wirtschaftlichen
Wohlstand bringen soll. Auflnitiative Velayatis kam auch eine Zusammenarbeit
aller Anrainerstaaten des Kaspischen Meeres zustande, die sich nicht nur auf
Fragen der Wirtschaft erstreckt. Vielmehr ge1 t es um die Erhaltung eines der
größten Binnengewässer der Welt als einmaliges ökologisches Refugium. MvB
Den Islam
verstehen lernen
Zwei Drittel der deutschen Touristen,
die Reiseziele außerhalb Europas aufsu-
chen, fahren in ein Land, dessen Bevölke-
rung überwiegend aus Menschen musli-
mischen Glaubens besteht. Darauf hat
kürzlich der Studienkreis für Tourismus
in Starnberg hingewiesen. Im Gegensatz
zur Reiselust in islamische Länder stehe
aber die mangelnde Bereitschaft, sich mit
der Kultur und Religion der Moslems
auseinanderzusetzen. Der Studienkreis
wird von Kirchen, Entwicklungshilfe-
organisationen, dem Jugendherbergs-
werk und Bundesministerien unterstützt.
Reisenden in islamische Länder wird
empfohlen, das Gespräch mit den in
Deutschland lebenden Andersgläubigen
zu suchen, deren Bevölkerungsanteil be-
reits über zwei Millionen betrage. So s
es weitgehend unbekannt, daß aus
Deutschland im Frühsommer mehr als
6000 Moslems zum „Hadschd , der,.Pilge-
fahrt nach Mekka, aufbrechen. epd
Iranistik an
der Uni Bamberg
Der Lehrstuhl für Iranistik in Bam-
berg, der seit 1989 besteht, ist derzeit der
einzige in Deutschland, der einen histo-
risch-kulturwissenschaftlichen Ansatz
mit einem deutlichen Schwerpunkt auf
aktuelle und praxisbezogene Inhalte in-
stitutionalisiert. Das Fach beschäftigt
sich mit Iran in islamischer Zeit, d. h.
nach der islamischen ‚Eroberung um die
Mitte des 7. Jh. n. Chr. Themen aus voris-
lamischer Zeit werden vermittelt, inso-
fern sie ein Kontinuum darstellen und für
die gegenwärtige Landeskunde unerläß-
lich sind. Eine räumliche Begrenzung des
Faches ist jedoch nicht mit dem Abstek-
ken der heutigen Landesgrenzen gegeben
vielmehr sieht sich die Iranistik in Bam-
berg mit den Nachbardisziplinen Turkolo-
gie ünd Indologie verbunden.
Bamberg war dreimal Ort internationa-
1er wissenschaftlicher Veranstaltungen:
im Juni 1990 fand hier eine Konferenz
über „Aktuelle und allgemeine Probleme
Mittelasiens“ statt, im September 1991 die
internationale „Second European Confe-
rence of Iranian Studies“ und im Juli 1992
ein Symposium über „Bilingualism in
.Iraninn Cultures“. Im Sommersemester
1993 haben Studenten der Bamberger
Iranistik erstmalig die Gelegenheit im
Rahmen eines Studienaustausches meh-
rere Monate im Iran zu verbringen.
Roxane Haag-Higuchi
Wer bastelt an der
islamischen Bombe?
Geheimdienst-Meldungen über eine
Atomstreitmacht Iran“ bis zum Jahr
2000 wies Jetzt die Internationale Atom-
energie-Organisation (IAEO), Wien, zu-
rück. Ihre Kontrolleure hätten „bisher
keinen Anlaß, Unregelmäßigkeiten in den
deklarierten Atomanlagen des Iran z i
melden«. Die iranische Regierung hatte
die IAEO eingeladen, „alle Orte im Land
zu besuchen, die in letzter Zeit mit einem
Forschungs- und Entwicklungspro-
gramm auf dem Nuklearsektor in Verbin-
dung gebracht“ worden seien. Ergebnis
der Inspektionsreise: „Die Aktivitäten der
‚ persischen Einrichtungen und Plätze be-
fanden sich im Einklang mit der friedli-( ‘ ‘
chen Nutzung der Kernenergie. Auch
das Institut für Strategische Studien in
London (riss), Sprecher Colonel Andrew
Duncan, meinte: „Es gibt keinen stichhal-
tigen Nachweis dafür, daß Iran insgeheim
ein Atomwaffenprogramm betreibt.“
Ein LAEO-Team inspizierte in diesen i
Jahr insgesamt sechs kerntechnische An-
lagen und Forschungszentren in Persien.
„Unsere Safeguards hatten volle Bewe-
gungsfreiheit“, berichtet IAEO-Direktor
David Kyd. Der 1957 gegründeten Organi-
sation, 2200 Mitarbeiter, obliegt u. a.
Aufgabe, die Einhaltung des 1970 in Kr
getretenen „Vertrages über die Nichtver-
breitung von Kernwaffen“ (Atomwaffeh-
sperrvertrag) mit 153 Mitgliedstaateh zu
überwachen. Derzeit führt die voi
schwedischen Generaldirektor Hans Blix
geleitete IAEO in 54 Nichtkernwaffen
staaten. regelmäßige Inspektionen durch.
Duncan: „Nach unseren Erfahrungen
bleiben Aktivitäten für ein Atomwaffen,
programm kaum verborgen. Größere Erd(“
arbeiten, ungewöhnliche Gebäudekom-
plexe sowie verstärkte Wärmeabstrahlun-
gen entgehen in der Regel nicht den
scharfen Augen von Aufklärungs-
satelliten. Des weiteren halten wir auch
die jüngsten Berichte über eine angebli-
che atomare Zusammenarbeit zwischen
Iran und Kasachstan für unzutreffend.‘
Zur aktuellen Diskussion erklärte das
britische Institut: „Für die Produktion
von Nuklearwaffen bedarf es vieler Korn-
ponenten: qualifizierte Wissenschaftler
und Ingenieure, hochwertige Software,
enorme Mengen elektrischen Stroms so-
wie Rohmaterial, das heißt waffenfähiges
Plutonium.“ Der Iran habe mit dem Bau
kerntechnischer Anlagen schon zu Zeiten
des Schah begonnen. Bekanntestes ira-
nisch-dentsches Gemeinschaftsprojekt
aus dieser Zeit sei der — immer noch im
Bau befindliche — Reaktor von Busc
westlich von Schiraz am Persischen G&
der im Krieg zwischen Irak und Iran
schwer beschädigt wurde. MvB
Wir,: sind eine Tochter es 1 ‚5 Mii-
ilonön Tonnen aramme und Walzblöcken sowie 4.000 Be häftigt i einerdei grÖßten
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Widersprüche und Zweigleisigkeit
Nur. die Region zählt
Iran formuliert neue außenpolitische Interessen
Von Johannes Relssner
D er Zusammenbruch der Sowjet-
union schuf auch für den Iran
. etne neue geopolitische Situation.
Mit dem Wegfall der einst 2500 Kilometer
langen Grenze gehört der Iran wieder
zum Persischen Golf und Zentralasien.
Anstelle der Fixierung auf die Super-
märkte haben die regionalen Bezüge Ge-
wicht gewonnen. Neben dem schwierigen
Wiederaufbau nach achtjährigem Krieg
mit dem Irak wurden die neuen Nachbarn
im Norden zu einer weiteren Herausfor-
derung.
Die Mehrheit der Bevölkerung im Sü-
den der ehemaligen Sowjetunion ist mus-
limisch. Das gab Im Westen Anlaß zu
Befürchtungen einer möglichen antiwest-
lichen islamistischen Umarmung. Solche
Träume gab und gibt es im Iran, für die
Politik aber ist entscheidend: Im Interesse
des Wiederaufbaus — der Iran muß heute
60 Millionen Menschen bei einem Bevöl-
kerungswachstuxn von offiziell 3,17 Pro-
zent ernähren — besitzt regionale Stabili-
tät unbedingten Vorrang. Ein (Ybergreifen
ethnisch-nationaler oder sonstiger Kon-
flikte wie in Tadschikistan könnte dem
Vielvölkerstaat Iran mit seinen Kurden,
Azeris, Turkmenen, Belutschen und über
zwei Millionen afghanischen Flüchtlin-
gen bedrohlich werden. Daher bestimmen
Sorge und Vorsicht den Tonfall, wenn von
den neuen Nachbarn die Rede ist. Ge-
meinsamkeiten in KUltUr und Geschichte
werden äuch mit der Absicht betont, die
eigenen Minderheiten unter dem Dach
iramsch-islamischer Identität zusam-
menzuhalten. Nach einem Jahr läßt sich
Bilanz ziehen: Vorsicht, nicht „R.evolu-
tionsexport“ bestimmt hier die Politik.
Infrastruktur wird geschaffen
Die politische Stabilität der Region soll
- und das liegt im Interesse aller - durch
ein Netz wirtschaftlicher Kooperation ge-
stützt werden. Der Iran h,at den viel
fordernden Republiken Zentralasiens und
Transkaukasiens vor allem die Landver-
bindung zum Persischen Golf zu bieten.
Folgerichtig wurden unter dem symbol-
trächtigen Namen „Seidenstraßenprojekt“
seit Dezember 1991 viele Abkommen im-
terzeichnet, bei denen Transport, Verkehr
und Kommunikation im Mittelpunkt
stehen.
Gewiß ist die Eisenbahnverbindung
vom Persischen Golf nach China noch
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AUSLANDSBEILAGEN
INTERNATIONAL SUPPLEMENTS
Wirtschaftsbeziehungen