Die gebrannten Kinder der Revolution halten still Zwar sind die ‘Iraner desillusioniert, doch äußerer Druck wird die Mullahs eher stützen als stürzen Von Rudolph Chimelli Bisher blieb es bei bösen Worten4n Teheran. Nach der Freitagspredigt in der Universität wo Präsident Rafsandschatii das Mykonos-Urteil als ‚schamlose Tat« bezeichnete, wurden Sprechchöre laut und einige Steinwerfer sammelten sich vor der deutschen Botschaft. Rafsand- schanis Äußerung die Deutschen würden in Iran nicht alles verlieren, aber in ihrer Stellung geschmälert, zeigt, daß die Füh- rung noch überlegt, wie sie reagieren kann, ohne das altbewährte Gewebe deutsch-persischer Beziehungen weiter zu strapazieren. Die Formel des Prösiden- ten läßt viele Möglichkeiten offen — vom Theaterdonner bis zu Repressalien. Die neue Krise in ihren Beziehungen zum Westen trifft die Islamische Republik zu einem Zeitpunkt, da das Regime wegen der schlechten Wirtschaftslage lähgst nicht mehr beliebt ist. Für eine riesige Mehrheit der Iraner besteht der Alltag aus materiellen Härten. Zugleich haben die Regierenden durch die Einengung kultureller Freiräurne, die värher bestan- den, bei den Intellektuellen in den beiden letzten Jahren an Kredit verloren. Das gilt nicht nur für die westlich orientierten unter ihnen, sondern auch für j ne, die vom Islam oder von der traditionellen Kultur geprägt sind. Daraus auf revolutionäre Stimmung zu schließen, wäre jedoch verfehlt. Es kann zu Ausbrüchen von Unzufriedenheit oder örtlichen Streiks kommen, aber eine koor- dinierte politische Aktion würden nicht nur die Sicherheitsorgane im Keim erstik- ken, sie dürfte heute auch außerhalb des Vorstellungsbereichs des Volkes liegen. Vor 18 Jahren War der Sturz der Monar- Sie enthusiastisch begrüßt worden. Bei den gebrannten Kindern der islamischen Revolution hat die Enttäuschung über deren Ergebnisse unpolitische Resigna- tion, nicht Sehnsucht nach neuen Umwäl- zungen hinterlassen. Evolution scheint nur innerhalb dqs Systems möglich, in dem konservative Dogmatiker, islamische Radikale, Soziali- sten, Technokraten und Freihändler um Einfluß ringen.. Man kann über einen. liberaleren; moderneren, weltoffeneren Islam diskutieren, doch über eine grund- sätzliche islamische Orientierung der Ge- sellschaft — jenseits der bekannten For- men des Regimes — besteht ein breiter Konsensus. Für einen Umsturz von außen durch linksislamische Volksmudschahe- din, bürgerliche Liberale oder Monarchi- sten sind keine Ansatzpunkte erkennbar. Als Radikale im ersten Jahr nach der Revolution die amerikanische Botschaft stürmten, herrschte deswegen in der Be- völkerung wenig Unftchtsbewußtsein. Selbst welterfahrene Perser fanden, ih- cJ•. rem Land sei durch 4ie USA übel mitge- spielt worden, und den als Geiseln ge- nommenen Diplomaten sei nichts pas- siert. Das Verhältnis zum Westen, das bis dahin den Sturz des Schahs leidlich über- standen hatte, ist seither nachhaltig ge- stört. Aber äußerer Druck, isolierung und Propaganda bewirkten eher Solidarisie- rung mit dem Regime. Nichts spricht dafür, daß heute das Ende des ‚kritischen Dialogs« oder die Abberufung von Botschaftern als Lehre empfunden wird, die den Pragmatikern zugute konpnt. Je mehr in den Wochen bis zur Präsidentenwahl die Polemik mit den Deutschen eskaliert, je mehr Iran in die Quarantäne gerät, um so besser werden die Chancen der Anti-Westler. In einer regionalen Erfahrungswelt, wo Beseiti- gung von Gegnern, Terror, Repressalien gegen Zivilisten, militärische Vergel- tungsschläge über Grenzen nicht automa- tisch zur internationalen Ächtung eines Staates führen, sondern als Fortsetzung der Diplomatie mit anderen Mitteln ak- zeptiert werden, verschafft sich morali- sche Empörung nicht so leicht Gehör. Der aussichtsreichste Kandidat der Anti-Westler, Parlamentspräsident All Akbar Natek-Nuri, hielt sich am Tag der Urteilsverkündung mit den Ministern für Wirtschaft, Finanzen, Handel und Vertei- digung in Moskau auf: Ein Wink mit dem Zaunpfahl von einem Terrain, auf dem schon Japan, China und andere mit Er- folg tätig sind, klammheimlich und über Mittelsmänner sogar die USA. Für realpolitische Zyniker könnte eine Wahl Natek-Nuris sogar die Eselsbrücke zur Normalisierung werden. Er ist vom Fall Mykonos persönlich nicht belastet. Ohnehin bleibt abzuwarten, wie viele EU- Botschafter gehen, wann und für wie lange. Wenn früher ein westlicher Partner der Perser in politische Turbulenzen ge- riet, widerstanden andere fast nie der Versuchung, seinen Platz einzunehmen. Das Ansehen Deutschlands in Iran, in einem Jahrhundert erworben, ist be- trächtlich. Wie weit es von der Aktualität geschniälert werden kann, ist schwer ab- zuschätzen. Kulturelle Aktivität der Deutschen war seit der Revolution kaum mehr möglich. Sich wirtschaftlich selber zu schädigen, liegt nicht im Interesse Teherans. Wenn Unternehmer oder Tech- niker durch Ausbildung, Ausrüstung und bestehende Verbindungen an deutsche Partner gewöhnt sind, werden sie sich nicht ohne Not an andere Quellen wen- den, die teurer oder schlechter sind. Auch als die Mehrzahl der arabischen Staaten 1965 mit Bonn brach, weil die Bundesre- publik ihr Verhältnis zu Israel normali- sierte, änderte sich wenig an den ökono-• mischen Beziehungen. In den letzten Monaten hat das Regime den Fall des Schriftstellers Faradsch Sar- kuhi mit einer fingierten Reise nach Hamburg und Verhaftung systematisch als angeblichen Beweis für deütsche Agententätigkeit aufgebaut. Falls er zum Rache-Opfer würde, wäre dies eine weite- re Belastung. AÄÖOÖ22I