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Withstanding the political pressures / Bonn politicians see “critical dialogue” as being over

          
          die tageszeitung Freitag, 1 1 . April 1997
          Tagesthema 3
          1 Nach 42 Monaten endete gestern der „Mykonos“-Prozeß. Das Urteil ließ an Klarheit nichts zu wünschen übrig: Das Gericht
          bescheinigt der iranischen Führung, als Drahtzieher die Morde an iranischen Oppositionellen in Berlin veranlaßt zu haben.
          )
          . Dem politischen Druck widerstanden
          FnthjofKubsch gehörte gestern
          zweifellos zu den einsamsten Men
          schen in Deutschland. Über fünf
          Angeklagte hatte der Vorsitzende
          Richter am Berliner Karnmerge-
          richt an insgesamt 246 Verband-
          lungstagen zu Gericht gesessen,
          hatte 42 Monate lang nur unter
          strengsten Sicherheitsvorkehrun-
          gen seinem Beruf nachgehen kön-
          nen, ständig begleitet von Sicher-
          heitsbearnten, chauffiert in einer
          gepanzerten Limousine. Fünf Stra-
          fenhatte erzu verkünden, doch er-
          wartet wurde von ihm ein sechstes
          Urteil: obderiranische Staatschul-
          dig ist. das Attentat aufvier kurdi-
          sehen ExilpolitikerimBerlinerLo-
          kai „Mykonos“ veranlaßt zu ha-
          ben, ob der religiöse Führer des
          Iran, Ab Qiamenei, und der
          Staa1spr sident Ah Akbar Has-
          hemi Rafsandschani des Mordes
          sich schuldiggernachthaben.
          Sollte Kubsch den Iran als
          Drahtzieher benennen, so würde
          das zu einer Belastung der deut-
          schenfran-Politikführen,würdeer
          gardenNamendes religiösen FUJi-
          rers hamenei nennen, so hatte
          der Iran-Experte Udo Steinbach
          noch tags zuvor in der taz analy-
          siert, drohte ein Abbruch der di-
          plomatischen Beziehungen.
          Kubsch hat diesem enormen
          Druck widerstanden. In derselben
          gleichmütig-freundlichen Art, in
          der er die Verhandlungleitete, hat
          er gestern die an ihn gerichteten
          Erwartungen zunächst auf das ju-
          stitiable Maß reduzier . Nein, nicht
          der Iran säße auf der Anklage-
          bank, denn Hauptverhandlungen
          gegen Abwesende seien der deut-
          sehen Prozeßordnung fremd. Es
          habcauchkeine „Beweiserhebung
          zu Staatsierrorismus“ gegeben,
          aber die Feststellung der Drahtzie-
          her sei notwendig, weil sich nur so
          das Maß der Schuld der Angeklag-
          ten bemessen lasse.
          Und die Feststellungen des Ge-
          richte lassen an Deutlichkeit nichts
          zu wünschen Ubrig Die iranische
          Führung habe den BeschlUß ge
          faSt,dieFfthrungderKDP-I „nicht
          nur politisch zu bekämpfen, son-
          dem sie zu liquidieren“.
          Die Beweisaufnahme war vor
          allem von der Generalbundesan-
          waitschaft gegen den Willen der
          Bundesregierung vorangetrieben
          worden. Sie hat zeitraubend und
          manchmal mühselig die Verstrik-
          Als Reaktion auf das Berliner
          „Mykonos“-Urteil haben sich die
          Bonner Parteien gestern für eine
          Beendigung des „kritischen Dia-
          logs“ mit Teheran ausgeprochen.
          Eii Abbruch der diplomatischen
          Beziehungen zum Iran wurde aber
          abgelehnt.
          Der außenpolitische Sprecher
          der DU/cSU-Bundestagsfrak-
          tion, Karl Lamers, wertete die Ur-
          teilsbegründung des Berliner
          Kammergerichts als „Beleg für
          den Staataterrorismus des irani-
          scheu Regimes, der von der inter-
          nationalen Gemeinschaft nicht
          hingenommen werden kann“. Die
          Bundesregienmg müsse sich nicht
          nur für eine internationale Vemur-
          kungen des Iran in die Tat erhellt.
          DashatdemGericht,soKubsch im
          Urteil, „Einblick in die Entschei-
          dungsabläufe der iranischen staat-
          lichen FÜbrUDgSSpitZe gegeben, an
          deren Ende die Uquidierung von
          Reg megegnem im Ausland
          steht‘ . Und dann sagt das Gericht
          die für die politische Wirkung des
          Prozesses entscheidenden Sätze:
          „Die Beschlußfassung über ent-
          sprechende Operationen liegt in
          den Händendes geheimen und au-
          ßerhalb der Verfassung stehenden
          ‚Komitees für Sonderangelegen-
          heiten‘, dem der Staatspräsident,
          der Minister des Geheimdienstes
          Vevak, der für die Außenpolitik
          zuständige Qief, Vertreter des Si-
          cherheitsapparates und anderer
          Organisationensowie der religiöse
          Führer angehören.“ „Ist das Ziel
          einer solchen Operation [ mit Aus-
          landebezug d. Redjdie Tötung ei-
          nes Menschen, bestätigt der mcli-
          giöse Führer als politische Instanz
          den sogenannten Tötungsbefehl,
          der die Scheinrechtfertigung fIlm
          die spätereTötungbildet“
          Das Gericht ist sich, so kann
          man annehmen, der politischen
          Brisanz dieser Worte bewußt
          teilung einsetzen, sondern auch
          den iranischen Botschafter in
          Bonn einbestellen und den deut-
          schen Botschafter in Teheran zu-
          rllckrufen. Alle europäischen Staa-
          teil müßten den „kritischen Dia
          log“ suspendieren.
          Der CDU-Bundestagsabge-
          ordnete RuprechtPolenz,Mitglied
          des Auswärtigen Ausschusses und
          einer der Iran-Berichterstatter sei-
          ner Fraktion, verlangte die Aus-
          weisung von Botschaftspersonal
          und das Einfrieren von Kredit-
          bürgschaften. „Wir müssen dem
          Iran unmißverständlich klarma-
          ehen, daß Europa iranische Killer-
          kommandos nicht tatenlos hin-
          nimmt.“ Neben der Reduzierung
          Hatte nicht schondie Nennung des
          religiösen Führers im Plädoyer der
          Staatsanwälte zu antideutschen
          Demonstrationen im Iran geführt,
          hatte nicht der Kanzler selbst dar-
          aufbin eiligst einen Brief an Präsi-
          dent RafsandsChani geschrieben,
          indemerbetonte, daß öS&r deüt
          scheu Justiz fernliege, „die religiö-
          sen Gefühle ihres Volkes und sei-
          ner geistlichen Führung zu verlet-
          zen“?AuchKohl kannsichnundie
          nüchterne „Klarstellung“ des Ge-
          riChts zu Gemüte fflhreü, daß der
          religiöse Führer „nicht das geistil-
          ehe Oberhaupt der Muslime“ sei,
          denn bei Ihm, „der auch als Revo-
          lutionsführer bezeichnet wird,
          handelt es sich um ein nach der Re-
          volutionvon 1979 geschaffenes po-
          litisches Amt, dessen Inhaber al-
          lerdings ein hochrangiger Kleriker
          sein muß“
          Diese Ausführungen dienen
          weniger der Erhellung des Tatzu-
          sammenhangs als vielmehr der
          Korrekturfalscber Iran-Bilder. Al-
          lerdings ist mitdiesen Worten auch
          die letzte Hoffnung zerstört, inter-
          pretierend den politischen Scha-
          den (oder vielmehr Nutzen) des
          Richterspruchs zu begrenzen.
          der Diplomaten beider Seiten sei
          es erforderlich, die bereits vermin-
          denen Hermes-Bürgschaften für
          Geschäfte mit !x n vollständig ein-
          zufrieren, „bis der Iranunter Be-
          weis gestellt hat,daß ervom Staats-
          terrorismus abläßt“.
          Der SPD-Außenpolitiker Kam
          sten Voigt verlangte eine Neudefi-
          nition der Beziehungen zwischen
          Europäischer Union und Iran. Da-
          für sollten alle EU-Staaten ihre
          BotschafterausTeheranzurückru-
          feii. Ein Abbruch der dipiomati-
          sehen Beziehungen sei aber nicht
          sinnvoll, sagte Voigt „Diplomati-
          sehe Beziehungen haben wir zu
          Staaten, nichtzu Regimes.“
          Grünen-Sprecherl ürgenTrittin
          Diese Hoffnung speiste sich aus
          dem Umstand, daß im Urteilstext
          den Namen Qiamenei nicht aus-
          drücklich erwähnt wird. Die Aus-
          führungen zeigen allerdings ein-
          deutig, daß nur er gemeint sein
          kann. Und liest man ‚sie vor dem
          ‘hintergrund der Aüssagen des
          Zeugen „Quelle C‘, so wird,Qia-
          meneiszentmale Rolle im Terrorre-
          gimezurGewißheit. Diese „Quelle
          c“, ein geflohener hoher Geheim-
          dienstmitarbeiternamensMesbahi
          hatte aus eigener Kenntnis von ei-
          nem solchen von Chamenei unter-
          schriebenenTötungsbefehlberich-
          tet.
          Das Gericht machte allerdings
          auch deutlich, daß ein solcher Tö-
          tungsbefehl für schiitische Mm-
          lime keine Gehorsamspflicht. be-
          gründe, sondern „einen ohne Ur-
          teilverfügtenstaatlichenliquidie-
          rungsaüftra darstelle. Ein wie
          auch immer gearteter Befehlsnot-
          stand für die Angeklagten läßt sich
          damit nicht rechtfertigen Sie trifft
          die volle Schwere ihrer Schuld.
          Der Geheimdienstmitarbeiter Ka-
          zem Darabi und der Todesschütze
          Abbas Rbayel werden deshalb
          nichtmit einervorzeitigen Beendi-
          erklärte, das Urteil sei eine „Ohr-
          feige“ für die Bonner Iran-Politik,
          die trotz massiver Kritik auf den
          „kritischen Dialog“ gesetzt habe.
          Er forderte Außenminister Kinkel
          auf, ‚endlich seine Rückendek-
          kwi für das Mullah-Regime“ zu-
          rückzuziehen und politische Kon-
          sequenzen folgen zu lassen Jegli-
          ehe Wirtscbaftsmittel für den Iran
          müßten eingefroren werden.
          Der PDS-Bundestagsabge-
          ordnete Steffen Tippach äußerte
          Zweifel, ob das Urteil unabhängig
          gewesen sei. „Die jahrelange öf-
          fentliche politische Debatte in
          Deutschland über den ‚Staatster-
          rorisnius‘ des Iran förderte zumin-
          dest ein Klima der Vorverurtei.
          Tatort „My-
          konns“ In
          de B ber
          Restaurant
          wurden 1992
          er opposdo-
          nelle iranische
          Kurden er-
          mordet. Ihre
          Namen stall-
          den auf einer
          TOdcSIiSte aus
          Teheran
          Foto: Mi Pa-
          czensky
          gung ihrerlebensiangen Freiheits-
          strafe rechnen können. Damit hat
          das Qericht auch allen Spekulatio-
          nen die Nahrung entzogen, Damabi
          könnte auf politischen Druck hin
          vorzeitig aus der Haft entlassen
          und inden Iran abgeschoben wer-
          den. ‘
          Seit 1979 hat der Iran 220 Ter-
          roranschläge im Ausland verüben
          lassen, in 44Fällen wurde Anklage
          erhoben, neun Tatverdäehtige
          wurden in Abwesenheit, neun in
          Anwesenheit verurteilt In den Üb-
          rigen Fällen konnten Tatbeteiligte
          entkommen, manchmal uner-
          kazint, manchmal als Diplomaten
          getarnt Als gegen die Mörder des
          iranischen Exilpoliuikers Schapur
          Bachtiar 1994 in Paris verhandelt
          wurde, ließ man den Angeklagten
          mit der direkten Verbindung zur
          iranischen Führung laufen. Beim
          AttentataufAbdul Ghassemlouin
          Wien ließ man die Tatverdächti-
          gen nach Teheran ausreisen. Im
          „Mykonos“-Verfahrenwurde dem
          entsprechenden politischen Druck
          widerstanden. Richter Kubsch hat
          am Ende allen Gnmd gehabt, zu-
          friedenzusein.
          Dieter RulifBedin
          hmg “, meint er
          Als eine „klare, harte Anwort
          auf den iranischen Staatsierroris-
          mm“ hat dagegen die Witwe eines
          der „Mykonos“-Opferden Schuld-
          spruch bezeichnet.Schohreh Bad-
          dii sagte, dank der Benennung der
          iranischen Staatsspitze durch das
          Gericht würden sich die Exiliraner
          in Deutschland künftig sicherer
          fühlen. Sie sprach von einem „gro-
          Ben Sieg für die deutsche Justiz“,
          der in die Geschichte. eingehen
          werde. „Dieser Sieg ist nicht nur
          ein Sieg für uns, sondern für alle
          demokratisch gesinnten Menschen
          indiesemLaixL“ APIAFPI4pa
          R Chronologie
          Von den „Mykonos“-
          Morden zum Urteil
          17. Septen er 199.2 Im grie-
          einsehen Restaurant „My
          konos“ m Berlin WilmersdOrf
          werden vier iranisch-kurdische
          Oppositionelle erschossen.
          Oktober Nach Hinweisen des
          BND werden der Iraner Kazem
          Darabia lsmutmaßhcherPlaner
          des Attentats gefaßt, die bbs-
          nesen Abbas Rhayel als
          Schütze und Jussef Anun als
          Helfer
          Mai 1993 Die Bunde nwMt-
          schaft klagt Darabi, Amin und
          Rhayel wegen Mordes an, zwei
          weitere Angeklagte wegen Bei-
          hilfe Sie nennt den iramschen
          Geheimdienst Vevak als Auf-
          traggeberderMorde
          Oktober Iran Geheimdienst-
          minister FallahIan besucht Ge-
          heinidienstkoordinator
          Schniidbauer und versucht den
          Prozeß zuveibmdem.
          28 Oktober Prozeßbegmn vor
          dem Berliner Kammergericht.
          März 1994 Zeuge Sclunidbauer
          bestätigt Fallahians Einfluß-
          : nabme.
          Januar 1996: Das Bundesamt
          fÜr Verfassimpschut‘ erkl rt
          der iranische Geheimdienst
          habe den Anschlag geplant und
          ein Klllerkommando nach Ber
          1c o
          18 Jahre Iaz.
          chtzehnjährig
          achen die taz
          onnerstag, den 17.ApriI
          Imentsandt.
          MIli7 AufAntrag des General
          bundesanwaits erläßt der Bun-
          desgerichtshof Haftbefehl ge-
          gen FaUahian. Teheran prote-
          stiert und droht mit „Konse-
          quenzen“ für den Fall eines
          Schuk lspmuchsgegenDarabi
          Augusl hans Expräsident Ba
          msadr beschuldigt als Zeuge die
          Tehemaner : Regiemungaspitze
          des Staatsterrortsmus Iran
          droht nntVerschlechterungder
          Beziehungen
          Oktober‘ Banisadrs Informant
          »Quelle C‘ ‚ der ehemalige Ge
          heimdienstier Abel Ohassem
          Mesbaln, bestätigt weitgehend
          dessenAnschuldigungen .
          Novemhen Die Bundesanwalt-
          schaft beschuldigt im Plädoyer
          Ajatollah Alt aiameaei und
          StaatspräsidentHaschemi -
          sandscJiam als Auftraggeber
          des Anschlags Für Daral» und
          Rhayelfordert sie lebenalange
          HaftTeheran reagiert mit Dro.
          hungen. Demonstranten be-
          werfen die deutsche Botschaft
          mit Eiern und Tomaten und
          drohen den Bundesanwälten
          mit dem Tod. Bus Briefwechsel
          zwischen Kohl und Rafsan
          dscbanientschärftdie Krise
          10. Ap& Das Karnmergencht
          s it vier der fünf Angeklag
          ten schuldigund macht diepoh
          tische und geistliche Führung
          des Iran für den Mordbefehl
          vemantwortheh.
          Bonner Politiker sehen „kritischen Dialog“ beendet
          1 Ein Abbruch der diplomatischen Beziehungen steht offenbar nicht zur Debatte.
          Witwe eines der Opfer sieht „Sieg fiir alle demokratisch gesinnten Menschen“
          u
          Dummdreist
          FDP-Möllemann, der inten.
          sivere Beziehungenzum Iran
          vill: „Es kann nicht sein, daß
          ein Berliner Amtsrichter dar-
          über entscheidet, wie wir im-
          sere Außenpolitik gestalten.“
          1
          AA000236
        

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